Seit etwas mehr als siebzehn Jahren habe ich das Privileg, Teil des Elims zu sein. Mit meiner Anstellung durch den Stiftungsrat wurde meiner Frau und mir damals die Aufgabe anvertraut, den Stiftungszweck operativ in die Tat umzusetzen. Der Stiftungszweck soll gelebt werden und Wirkung entfalten. Es ging also darum, einer Idee Form und Inhalt zu verleihen. Wenn ich zurückschaue, hat sich in dieser Zeit vieles verändert. Im Kern ist das Elim aber gleichgeblieben. Zu diesem Kern und der Einzigartigkeit des Elims möchte ich einige Gedanken teilen.
Haben Sie auch schon einen fremden Raum betreten und sich gleich zuhause gefühlt? Oder kennen Sie das Gefühl, wenn man einen Text liest und innerlich hört, wie jemand etwas in Worte fasst, was sich mit dem eigenen Erleben deckt? Man fühlt sich verbunden, vertraut und innerlich gestärkt. Obwohl es noch keine sichtbare Form angenommen hat, ist etwas innerlich entstanden. Dieses Phänomen kann inspirieren und uns in Aufgaben den nötigen Mut und Ausdauer geben.
Im Elim gibt es einige Geschichten, die mit solchen Gefühlen begonnen haben oder uns weitergeführt haben: Mit Inspiration, Mut und Ausdauer. Ob es das Haus Elim in Wasen war, das Anliegen der Stiftung, die Gründung der Kita oder der Schritt aus dem Emmental nach Wiedlisbach und Steffisburg. Immer hatte es mit dieser inneren Sicherheit zu tun. Ein inneres Bild, welches Gestalt angenommen hatte, eine Gelegenheit, die sich eröffnet hat: Die Zeit war plötzlich reif, um sich damit zu verbinden. Es war, als könne man in eine Spur treten, die vorgezeichnet war. Es ergab Sinn, weckte Freude und erschloss neues Potential. Wie wenn man einen Pass überschreitet und ein neues Wegstück und neue Landschaftsteile sieht.
Das Elim, wie ich es vor 17 Jahren kennengelernt habe, ist aus der Schwäche gewachsen. Ein erstes Konzept war gescheitert, man stand vor einer schwierigen Situation und doch blieb die Idee stark genug, um sie weiterzutragen. In kleinen Schritten ist das Elim stärker geworden und hat an Kontur, Substanz und Wirkung zugenommen. Im letzten Jahr lernte ich ein Führungsmodell kennen, welches mich ans Elim erinnert hat. Es ist das Modell «Positive Leadership» von Ruth Seliger. Sie baut eine Landkarte der Führung um drei Führungsprinzipien auf: Die «Leadership-Map» (siehe Abbildung). Ich fühlte mich bei der Lektüre sofort zuhause. Seliger formuliert in ihrem Buch «Positive Leadership» Inhalte, die in meiner Erfahrung, meinen Werten und Ansichten Resonanz fanden. Sie spricht von «Führen mit Sinn», «Führen mit Freude» und «Stärken fokussiertes Führen». Und beschreibt mit ihrem Modell ein Stück Identität des Elims, ohne es zu kennen.
Sinn
Das Elim ist einer Idee entsprungen, die den Stiftern vor mehr als 20 Jahren keine Ruhe gelassen hatte. Sie schritten zur Tat und gründeten eine Stiftung. Eine Stiftung ist vom Wesen her nichts anderes als eine Idee bzw. ein Zweck, welcher fortan im Kern unveränderlich eine möglichst hohe Wirkung erzielen soll. Was mich vor bald 18 Jahren gepackt hat, war diese Idee der doppelten Zielgruppe: Mütter und Kinder in Not zu unterstützen und sie für ein gelingendes Leben zu befähigen. Kinder sollen bei ihren Müttern bleiben können. Die für den Menschen wohl wichtigste Beziehung wird gestärkt, um nachhaltig eine positive Wirkung zu erzielen. Dies hat sich vom ersten Moment an sinnvoll und richtig angefühlt.
Etwas tun, was Sinn macht, ist für mich unglaublich motivierend. Sinn alleine ist aber nicht ausreichend, wenn es um Arbeit mit Menschen geht. Gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht. Als Sozialpädagoge kommt hier meine berufliche Leidenschaft ins Spiel. Es braucht Fachwissen, Begegnungsqualität und professionelle Haltungen. Im Umgang mit Menschen kann auch Schaden angerichtet werden, wenn das Wissen fehlt.
Freude
Dass Professionalität mit Freude zu tun hat, mag auf den ersten Blick nicht naheliegend sein. Ohne Freude kann Professionalität wenig Gutes bewirken: Der beste Gärtner wird nie einen schönen Garten bauen, wenn die Freude fehlt. Oder ein Koch, der nicht mit Leidenschaft und Freude die Lebensmittel behandelt, produziert im besten Fall kulinarisches Mittelmass. Was im Handwerk und in der Küche gilt, zählt umso mehr für die Arbeit mit Menschen. Im Elim leben Mütter und Kinder rund um die Uhr. Das Elim ist für sie ein Zuhause auf Zeit. In der Kita sind Kinder während Stunden und Tagen betreut. Für ein Kita-Kind kann sich ein einzelner Tag wie eine halbe Ewigkeit anfühlen. Diese Menschen verdienen mehr als nur angewandtes Fachwissen.
Dass das Betreuungspersonal im Elim fachlich ausgebildet ist und wir uns an professionellen Konzepten orientieren, ist ein Grundanspruch. Der wirkliche Unterschied macht die Freude. Freude als etwas Urmenschliches. Freude als ein Schlüssel in Begegnungen. Freude, die sich mit Fachlichkeit verbindet. In der Freude liegt eine Qualität, die nicht messbar, aber dafür umso stärker ist: Freude in der sozialen Arbeit meint Zuversicht, Vertrauen und echtes Engagement. Sie meint Wertschätzung und Wachsamkeit für das, was ist. Selbst schwierige Aufgaben können durch Freude Leichtigkeit erhalten. Wenn uns Menschen mit Freude umgeben, gibt dies Kraft und Zuversicht. Das langweiligste Schulfach konnte Begeisterung entfachen, wenn der Lehrer das Thema mit Freude vermittelt hat. Wenn ich in einer schwierigen Situation bin, wünsche ich mir Menschen an die Seite, welche im Innern von Freude und Zuversicht zehren.
Blick auf die Stärken
Beim Modell «Positive Leadership» wird die Aufmerksamkeit bewusst auf die Stärken, Chancen und Potentiale von Menschen und Organisationen gerichtet. Wenn wir im Elim nicht mehr in der Lage sind, die Stärken und Potentiale eines Familiensystems zu sehen, wird der Aufenthalt im Elim für die Familie schwierig. Wie oft haben wir in den Teamsitzungen genau über diesen Umstand gesprochen? Wir sind es den Menschen schuldig, an sie und ihr Potential zu glauben. Damit Veränderung und Entwicklung möglich sind, braucht es den Glauben daran. In der Sozialen Arbeit spricht man von Ressourcen- und Lösungsorientierung. Man geht davon aus, dass die Lösung bereits im Problem enthalten ist, und dass die Menschen fähig sind, Lösungen für ihr Leben selber zu finden.
Im Führungsmodell von Ruth Seliger habe ich viele Parallelen zur Betreuungsarbeit im Elim gefunden und es begeistert mich, dass diese Prinzipien, die wir für die Förderung und Begleitung der Familiensysteme als unerlässlich erachten, auch für die Führung und Entwicklung einer Organisation taugen.
«Was für Mutter und Kind gilt, stimmt auch fürs Elim.»
Was auch immer die Zukunft dem Elim bringt und welche Herausforderungen uns als Organisation begegnen werden: Ich möchte diese drei Prinzipien mitnehmen. Sinn, Freude und den Blick auf die Stärken. Sie stehen für Ganzheitlichkeit und für Leben. Sie erinnern ans Menschsein und taugen zur Unternehmensführung. Was für Mutter und Kind gilt, stimmt auch fürs Elim.
Im Wachstum der letzten Jahre hat sich im Elim vieles verändert. Strukturen, die im kleinen Betrieb funktioniert haben, mussten angepasst werden. Prozesse galt es zu überarbeiten und neue Stellen und Hierarchiestufen wurden nötig. In all der Veränderung sehe ich es als meine Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass das Herz des Elims erhalten bleibt. Das Sinnhafte soll nicht gegen Sicherheit eingetauscht, die Freude nicht von Bürokratie ersetzt und der Blick soll nicht von Fehlern sondern von Stärken geleitet sein. Ich bin überzeugt, dass das Elim auf diese Weise weiterhin ein Ort bleiben wird, wo Menschen sich wohl fühlen, Wertschätzung erfahren und sich entwickeln können. Zuallererst die Eltern mit ihren Kindern, aber auch all die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Tag für Tag die Vision des Elims in den Alltag tragen. Ohne ein grossartiges Team wäre das Elim ohne Form und Wirkung. Das Elim ist darauf angewiesen, dass alle vom Team den Stiftungszweck leben, dass sie sich mit dem Sinn verbinden, in der Freude handeln und ihre Aufmerksamkeit den Stärken widmen.
Wenn ich in die Zukunft blicke, mache ich dies aus dem Bewusstsein der Vergangenheit. Was aus Schwäche entstanden ist, hat oft tiefe Wurzeln schlagen können. Was organisch gewachsen ist, hat mehr Standhaftigkeit als Dinge, die künstlich erzeugt wurden. Für mich gibt es keinen Blick in die Zukunft ohne die Erfahrungen des bisherigen Weges. Wenn das Elim diesen Weg weitergeht und seiner Idee und Identität treu bleibt, werden Sinn, Freude und der Blick auf die Stärken uns den Weg in die Zukunft weisen.